Das ewige Mitgemeintsein

Text und Foto: Liv Portner

Ob Sternchen, Bindestrich oder Doppelpunkt: Ideen, unsere Sprache geschlechtergerecht zu gestalten, gibt es viele. Aber nicht alle sind von dieser Änderung überzeugt. Warum es dennoch absolut notwendig ist, die Sprache der Realität anzupassen, erklärt euch die GO-Public.

Wenn wir sprechen, dann nutzen wir das generische Maskulinum; wir sagen „Der Lehrer ist für seine Schüler verantwortlich“ oder „Der Kunde ist König“. Wir sprechen in der männlichen Form. Frauen? Sind nur mitgemeint. Das ist so tief in der deutschen Sprache verankert, dass jeglicher Vorschlag, die Sprache gendergerecht zu gestalten, auf heftigen Widerstand stößt. Die Debatte ist kontrovers und oft sehr emotional – schon seit den Anfängen der feministischen Linguistik.

Zum ersten Mal wurden Frauen in den 1960er Jahren im Rahmen der zweiten Welle des Feminismus‘ mit Hilfe des Schrägstrichs ebenfalls explizit erwähnt. Von nun an waren die Lehrer also Lehrer/innen. Aber schon damals traf diese Veränderung nicht nur auf Zustimmung. Auch in den eigenen Reihen wurde heftig diskutiert. Der Vorwurf: Die neue Form gehe noch nicht weit genug, denn Frauen seien wieder lediglich ein Anhängsel.

In den späten 1970er Jahren erlebte die Idee von inklusiver Sprache dann einen enormen Aufschwung. In dieser Zeit wurden verschiedene Richtlinien von Institution verfasst. Im universitären Milieu fand die geschlechtergerechte Sprache zwar Anklang. Doch Mainstream war sie noch lange nicht.

Der Bindestrich ist jedoch nur eine von vielen Varianten: Neben der vom Journalisten Christoph Busch erfundenen Binnen-I-Variante (LehrerInnen) wird auch die Gender-Gap Variante (Lehrer_innen) genutzt. Doch auch bei diesen Formen wird die mangelnde Inklusion kritisiert. Das Binnen-I schließe Personen aus, die sich weder als weiblich noch als männlich identifizieren. Der Unterstrich lässt Platz für nicht-binäre Personen, gilt aber als zu sperrig. Der Bindestrich wurde vor allen Dingen in LGBTQIA+-Kreisen verwendet, setzte sich aber nie wirklich durch.

Die wohl bekannteste und somit auch am kontroversesten diskutierte Variante ist der Genderstern. Dieser stammt ursprünglich aus der Sprache der Computer. Dort wurde er genutzt als Platzhalter für eine beliebige Zeichenkette. Der Vorteil ist, dass alle geschlechtlichen Identitäten miteingeschlossen werden. Das Sternchen fungiert als Ausrufezeichen und sagt: „Vorsicht, jetzt wird gegendert!“

Die neueste Version ist der immer beliebter werdende Doppelpunkt. Dieser wird von den Leser:innen als kurze Pause gelesen. Unsere Redaktion hat sich ebenfalls für diese Schreibweise entschieden. Computer können den Doppelpunkt als kurze Pause lesen und wir schätzen den Doppelpunkt für seine unauffällige, aber anschauliche Art, unsere Sprache geschlechtergerecht zu gestalten.

Trotzdem: Egal mit Hilfe welches Satzzeichens gegendert wird, auch im Jahr 2022 trifft die geschlechtsneutrale Sprache auf großen Widerstand. Warum?

Sprache ist in unserem Leben so allgegenwärtig und wichtig, dass es sich für viele zunächst möglicherweise merkwürdig anfühlt, in diesem doch so wichtigen Bereich ihrer persönlichen Freiheit „eingeschränkt“ zu sein. Wobei Einschränkung hier irreführend wirken kann: Ist es nicht vielmehr eine Veränderung oder Erweiterung als eine Einschränkung? Und gerade weil Sprache ein so wichtiger Teil unseres Lebens ist und unser Denken massiv beeinflusst, ist es so wichtig, auch hier eine Gleichberechtigung zu erreichen. Juristisch sind Frauen und Männer gleichberechtigt, aber in Wirklichkeit sind sie das noch lange nicht. (Zum Mitschreiben hier ein paar Stichworte: Bezahlung, medizinische Diagnosen und Medikamente, Gender Data Gap, Tampon-Steuer – um nur einige Bespiele zu nennen). Kurz gesagt: Der Cis Mann ist in vielen Lebensbereichen immer noch der Standard, das macht sich eben auch in der Sprache bemerkbar. Diese Muster müssen unbedingt gebrochen werden. Auch in der Sprache, denn sie manifestiert Ungerechtigkeiten. Mit dem Gendern gibt es eine Möglichkeit, Menschen dazu zu bringen, ein Bewusstsein für diese Diskriminierung zu entwickeln, was uns zwar einige Mühe kosten wird, aber unbedingt notwendig ist. Denn Frauen (und andere nicht männliche Geschlechtsidentitäten) sollen eben nicht nur mitgemeint sein.


Mysterium H.

Ein Kommentar von Liv Portner (10b)

Frau H. trat als letzte Rettung das Amt der Schulleiterin an. Nach Monaten der verzweifelten Suche nach einer geeigneten Besetzung für das Amt konnte H. die schulischen Gremien von sich überzeugen, trat die Stelle an und war bald wieder weg. Zeit, sie kennenzulernen, hatten wir nicht.

Den Schülervertreter:innen begegnete sie erstmals im vergangenen Winter bei ihrer Vorstellung in der P-Aula. Sie wurde von der Mehrheit der Vertreter:innen gewählt. Auch das Lehrerkollegium konnte sie für sich gewinnen. Im Februar des vergangenen Jahres wurde sie dann offiziell unsere neue Schulleiterin.

Dann passierte jedoch etwas sehr Gravierendes: Ein neuartiges Virus mit einem seltsamen Namen breitete sich immer weiter im Land aus. Bald konnte die Bedrohung durch Corona nicht mehr ignoriert werden. Im März stand fest: Die Schüler:innen würden so bald nicht in die Schule zurückkehren. Frau H. hatte gleich zu Beginn die Aufgabe, in dieser Situation zu vermitteln. Eine lange, erklärende E-Mail per IServ folgte der nächsten. Es galt, hysterische Eltern zu beruhigen und den Jugendlichen Halt zu geben.

Uns wurde bewusst, wir würden unsere neue Schulleiterin so schnell nicht richtig kennenlernen. Ich, als Klassensprecherin, hatte das Glück, sie schon zu Beginn ihrer Amtszeit zu treffen. Doch auch meine Vorstellungen ihres Gesichtes verschwammen immer mehr in ihren virtuellen Worten. Viele meiner Mitschüler:innen hatten Frau H. bis zu Beginn des ersten Shutdowns nicht ein einziges Mal zu Gesicht bekommen.

Während dieses ersten Lockdowns hatten wir alle Probleme, mit der neuen Situation zurechtzukommen. Die Schule wurde von der Schulbehörde dazu verpflichtet, allen Unterricht aufrechtzuerhalten und trotz der Umstände zu stemmen. Die Schulleitung hatte allerhand damit zu tun, die neuen Regelungen in die Tat umzusetzen. Als die Zahlen im Mai wieder etwas sanken, wurden die Schulen zumindest teilweise wieder geöffnet. Dadurch konnte ein Stück Normalität zurückgewonnen werden, obwohl sich unsere Definition des Begriffes „Normalität“ wohl in dieser Zeit deutlich verschoben hatte. Wessen körperliche Präsenz jedoch ausblieb, war die von Frau H. Auch wenn wir im Hybridunterricht nur für eine kurze Zeit in der Schule waren, trafen wir H. kein einziges Mal auf dem Schulhof. Die kurze Phase des Unterrichts wurde erneut von den Sommerferien durchschnitten.

Danach sollte die Schule wieder richtig losgehen! Mit Abstand. Und Vorsicht. Und Masken. Ohne Cafeteria und Veranstaltungen. Ab da begann die „normalste“ Zeit mit Frau H. am GO: Zweifelsohne geschah Vieles: Handyverbot, Fahrradschulen-Wettbewerb, Feueralarm, Hygiene-Maßnahmen. An Aufregungen mangelte es nicht. Die Schüler:innen sahen sie nun zum ersten Mal, doch es blieb bei ein paar eiligen Blicken auf dem Schulhof. Selbstverständlich waren die Möglichkeiten der Interaktion sehr beschränkt; diese soll sich möglichst nur auf die eigene Klasse und Lehrer:innen beschränken. Den engsten Kontakt zu ihren Schüler:innen hielt sie, abgesehen von Mails via IServ, über den neu eingeführten Cafeteria-Wagen. Stets ist sie dabei, wenn sich die Schüler:innen gierig auf eine neue Ladung von Franzbrötchen stürzen. Gewiss kein schöner Anblick. Zu dieser Zeit versuchen wir, die Schülerzeitung, Kontakt mit ihr aufzunehmen, um ein Interview zu führen. Wir sprechen sie auf einem ihrer Streifzüge mit dem Cafeteria-Wagen an, um einen Termin zu vereinbaren. Sie will wissen, wann unsere Ausgabe erscheinen wird, doch diese Frage können wir ihr zu der Zeit noch nicht beantworten. Wir schreiben einige Male hin und her. Der Kontakt verliert sich wieder etwas. Klausuren und Schulstress sorgen vermutlich auf beiden Seiten für einen vorübergehenden Kontaktabbruch.

Die Corona-Zahlen steigen mit zunehmender Kälte. Auch hier macht sich Frau H. immer wieder die Mühe, alle zu beruhigen und sachlich zu informieren. Anfang September erreicht die Schüler:innen eine überraschende Nachricht: Frau H. erklärt, dass sie uns zum 1. Februar verlassen wird. Erneut versuchen wir Kontakt mit ihr aufzunehmen.

Wer ist diese Frau, die uns nun nach nur einem Jahr so überraschend verlässt?

Als die Fallzahlen erneut auf ein beunruhigendes Niveau steigen, wird die Bundesregierung zum Handeln gezwungen. Die Schulleitung hat sich nun mit einer abenteuerlichen Regelung der Schulschließung herumzuschlagen – der Präsenz-Unterricht wurde kurzerhand aufgehoben. H.s Aufgabe bleibt von Corona-Verordnungen geprägt. Als wir sie um einen virtuellen Interview-Termin bitten, erklärt sie sich dazu bereit, unsere Fragen zu beantworten. Unvorhergesehen kam dann eine Nachricht, in der sie uns mitteilte, dass sie das Interview nun doch nicht mit uns führen wird. Sie wolle einen sauberen Schlussstrich ziehen. Den zieht sie auch mit einer letzten verständnisvollen und empathischen Mail, in der sie sich ausgiebig bei der Schule bedankt. Die „Ära H.“ wird also weiter für die meisten Schüler:innen die „Ära Corona“ bleiben. Schade, wir hätten Sie gerne besser kennen gelernt.