Ein Kommentar von Liv Portner (10b)

Frau H. trat als letzte Rettung das Amt der Schulleiterin an. Nach Monaten der verzweifelten Suche nach einer geeigneten Besetzung für das Amt konnte H. die schulischen Gremien von sich überzeugen, trat die Stelle an und war bald wieder weg. Zeit, sie kennenzulernen, hatten wir nicht.

Den Schülervertreter:innen begegnete sie erstmals im vergangenen Winter bei ihrer Vorstellung in der P-Aula. Sie wurde von der Mehrheit der Vertreter:innen gewählt. Auch das Lehrerkollegium konnte sie für sich gewinnen. Im Februar des vergangenen Jahres wurde sie dann offiziell unsere neue Schulleiterin.

Dann passierte jedoch etwas sehr Gravierendes: Ein neuartiges Virus mit einem seltsamen Namen breitete sich immer weiter im Land aus. Bald konnte die Bedrohung durch Corona nicht mehr ignoriert werden. Im März stand fest: Die Schüler:innen würden so bald nicht in die Schule zurückkehren. Frau H. hatte gleich zu Beginn die Aufgabe, in dieser Situation zu vermitteln. Eine lange, erklärende E-Mail per IServ folgte der nächsten. Es galt, hysterische Eltern zu beruhigen und den Jugendlichen Halt zu geben.

Uns wurde bewusst, wir würden unsere neue Schulleiterin so schnell nicht richtig kennenlernen. Ich, als Klassensprecherin, hatte das Glück, sie schon zu Beginn ihrer Amtszeit zu treffen. Doch auch meine Vorstellungen ihres Gesichtes verschwammen immer mehr in ihren virtuellen Worten. Viele meiner Mitschüler:innen hatten Frau H. bis zu Beginn des ersten Shutdowns nicht ein einziges Mal zu Gesicht bekommen.

Während dieses ersten Lockdowns hatten wir alle Probleme, mit der neuen Situation zurechtzukommen. Die Schule wurde von der Schulbehörde dazu verpflichtet, allen Unterricht aufrechtzuerhalten und trotz der Umstände zu stemmen. Die Schulleitung hatte allerhand damit zu tun, die neuen Regelungen in die Tat umzusetzen. Als die Zahlen im Mai wieder etwas sanken, wurden die Schulen zumindest teilweise wieder geöffnet. Dadurch konnte ein Stück Normalität zurückgewonnen werden, obwohl sich unsere Definition des Begriffes „Normalität“ wohl in dieser Zeit deutlich verschoben hatte. Wessen körperliche Präsenz jedoch ausblieb, war die von Frau H. Auch wenn wir im Hybridunterricht nur für eine kurze Zeit in der Schule waren, trafen wir H. kein einziges Mal auf dem Schulhof. Die kurze Phase des Unterrichts wurde erneut von den Sommerferien durchschnitten.

Danach sollte die Schule wieder richtig losgehen! Mit Abstand. Und Vorsicht. Und Masken. Ohne Cafeteria und Veranstaltungen. Ab da begann die „normalste“ Zeit mit Frau H. am GO: Zweifelsohne geschah Vieles: Handyverbot, Fahrradschulen-Wettbewerb, Feueralarm, Hygiene-Maßnahmen. An Aufregungen mangelte es nicht. Die Schüler:innen sahen sie nun zum ersten Mal, doch es blieb bei ein paar eiligen Blicken auf dem Schulhof. Selbstverständlich waren die Möglichkeiten der Interaktion sehr beschränkt; diese soll sich möglichst nur auf die eigene Klasse und Lehrer:innen beschränken. Den engsten Kontakt zu ihren Schüler:innen hielt sie, abgesehen von Mails via IServ, über den neu eingeführten Cafeteria-Wagen. Stets ist sie dabei, wenn sich die Schüler:innen gierig auf eine neue Ladung von Franzbrötchen stürzen. Gewiss kein schöner Anblick. Zu dieser Zeit versuchen wir, die Schülerzeitung, Kontakt mit ihr aufzunehmen, um ein Interview zu führen. Wir sprechen sie auf einem ihrer Streifzüge mit dem Cafeteria-Wagen an, um einen Termin zu vereinbaren. Sie will wissen, wann unsere Ausgabe erscheinen wird, doch diese Frage können wir ihr zu der Zeit noch nicht beantworten. Wir schreiben einige Male hin und her. Der Kontakt verliert sich wieder etwas. Klausuren und Schulstress sorgen vermutlich auf beiden Seiten für einen vorübergehenden Kontaktabbruch.

Die Corona-Zahlen steigen mit zunehmender Kälte. Auch hier macht sich Frau H. immer wieder die Mühe, alle zu beruhigen und sachlich zu informieren. Anfang September erreicht die Schüler:innen eine überraschende Nachricht: Frau H. erklärt, dass sie uns zum 1. Februar verlassen wird. Erneut versuchen wir Kontakt mit ihr aufzunehmen.

Wer ist diese Frau, die uns nun nach nur einem Jahr so überraschend verlässt?

Als die Fallzahlen erneut auf ein beunruhigendes Niveau steigen, wird die Bundesregierung zum Handeln gezwungen. Die Schulleitung hat sich nun mit einer abenteuerlichen Regelung der Schulschließung herumzuschlagen – der Präsenz-Unterricht wurde kurzerhand aufgehoben. H.s Aufgabe bleibt von Corona-Verordnungen geprägt. Als wir sie um einen virtuellen Interview-Termin bitten, erklärt sie sich dazu bereit, unsere Fragen zu beantworten. Unvorhergesehen kam dann eine Nachricht, in der sie uns mitteilte, dass sie das Interview nun doch nicht mit uns führen wird. Sie wolle einen sauberen Schlussstrich ziehen. Den zieht sie auch mit einer letzten verständnisvollen und empathischen Mail, in der sie sich ausgiebig bei der Schule bedankt. Die „Ära H.“ wird also weiter für die meisten Schüler:innen die „Ära Corona“ bleiben. Schade, wir hätten Sie gerne besser kennen gelernt.