Warum wir wieder zurück in die Vergangenheit wollen

Ein Essay von Laura Bachmann (10b)

Die Schallplatte ist seit einigen Jahren wieder voll im Trend. Nicht nur als schicke Wanddekoration, sondern auch als Alternative zu flüchtigen Streamingdiensten wie Spotify. Auch andere Alltagsgegenstände lassen sich leicht durch schöne Objekte längst vergangener Zeiten ersetzen. Laura Bachmann erklärt, warum wir das auch unbedingt tun sollten.

Ächzend erhebt sich der Arm von seinem Sockel und beschreibt einen Kreis. Mit einem Knarzen setzt er auf und beginnt seine Arbeit. Trotz etlicher Hügel und ganzer Berge, die er überqueren muss, trotz der Weite des Wegs entlockt er einem seltsamen Apparat Töne. Worum es geht? Die Rede ist von einem Plattenspieler und von seinem Tonarm, der sich auf die Reise begibt, um uns mit seiner Musik zu fesseln.

Vinylplatten werden seit einiger Zeit wieder beliebt. Seit Mitte der 1990er finden immer mehr Menschen, dass Schallplatten etwas Schönes und Besonderes sind. Und: man sie kaufen sollte. Schließlich ist man schon seit den 1980er Jahren mit der Erfindung beziehungsweise Popularität der CD nicht mehr von Schallplatten abhängig. Im Gegenteil. Anfangs verschmähte man die gute alte Platte als altmodisch und vollkommen überholt, um sich mit großem Eifer erst den CD-Playern, dann dem Streaming-Diensten auf Handy oder MP3-Player zu widmen. Aber warum wird die Schallplatte jetzt wieder so beliebt? Nicht nur, weil sie schön aussieht, wenn man sie an die Wand hängt. Nein, es gibt Unterschiede zu unserem gewohnten Musikkonsum: Streamingdienste hört man nebenbei, Platten lauscht man. Tatsächlich sind viele Besitzer von Plattenspielern der Auffassung, dass das Wichtigste an Schallplatten die Beziehung zu ihnen sei.

Einer Platte zuzusehen, wie sie rotiert, und gleichzeitig Lieder aus qualitativ hochwertigen Kopfhörern oder Lautsprechern zu hören, ist etwas Besonderes. Denn das kommt dazu: Wer sich schon einen Plattenspieler anschafft, kauft sich häufig auch noch eine bessere Ausrüstung. Lohnt sich ja sonst nicht! Wichtig ist auch, dass solche Platten von viel höherer Beständigkeit sind als Streamingdienste, bei denen man nach der Abmeldung gar nichts mehr hat. Die Platten, der Plattenspieler, die Lautsprecher lassen sich ein Leben lang weiterverwenden. Kopfhörer oder Lautsprecher lassen sich häufig sogar mit den altbekannten Streamingdiensten verbinden, falls man sich doch auch mal für ein wenig gestreamte Musik entscheidet. Die eigenen Schallplatten, zu denen man vielleicht sogar noch eine Geschichte erzählen kann, halten länger und gehören (zu) einem.

Neben Platten gibt es noch deutlich mehr „alte“ und „überholte“ Gegenstände, die nicht nur eine wundervolle Dekoration darstellen, sondern auch eine interessante Alternative zu unserem allzu technischen und computerüberlasteten Alltag sind.

Unsere Redakteurin liest nur auf Papier: Liv Portner bei der Lektüre
Bild © Laura Bachmann

Zum Beispiel Kleidung. Auch ältere oder zumindest etwas höherwertige Kleidung hält länger und sieht auch besser aus. Selbst eine schmuddelige Hose kann zum Lieblingsstück werden, wenn man dazu eine Geschichte zu erzählen hat – und sie einem womöglich schon einige Jahre gehört. Eine (geerbte) Garderobe aus dem vorigen Jahrhundert ist fast immer von viel längerer Haltbarkeit als die Billigkleidung, die wir heute aus Ländern wie Bangladesch importieren, wo zu allem Überfluss zu menschenunwürdigen Bedingungen gearbeitet wird. Generell sind Erbstücke und Secondhand-Kleidung eine wirklich feine Sache, da sie nicht nur günstiger oder sogar umsonst, sondern auch noch gut für die Umwelt sind.

Ähnliches gilt für Bücher und Zeitschriften, die viele nur noch digital lesen. Denn es ist ein ganz besonderes Gefühl, eine Seite umzublättern. Am Ende einer Seite angekommen, lockt die Verheißung auf die Fortsetzung der Lektüre auf der nächsten Seite. Und das alles wird von einem verheißungsvollen Rascheln untermalt. Aufklappen und Zuklappen sind wie Begrüßung und Abschied und das einladende Cover komplettiert diesen „Besuch“ in der Welt des Buches.

Jedes Buch ist etwas Besonderes, Einzigartiges, das sich deutlich von jedem anderen Buch abhebt. Besondere Cover, Schriften und Layout machen das Buch erst zu dem Gesamtkunstwerk, das es ist. Auf dem E-Book hingegen verschwimmen die Grenzen zwischen den verschiedenen Büchern. Die Größe der Buchstaben wird angepasst, die Schrift vereinheitlicht und das Cover verdeckt. Tatsächlich kann man unter diesen Umständen viele Bücher miteinander verwechseln. Der Titel wird vergessen und der Inhalt mit dem anderer Bücher vermischt. Oder sogar vergessen. Meiner Erfahrung nach kann man sich auf Papier Gelesenes viel besser merken als Digitales. Und auch die Umwelt freut sich über ein Elektrogerät weniger. Dass dieser Artikel online erscheinen wird, ist wohl die viel genannte Ironie des Schicksals.

Abgesehen davon ist die Faszination eines Musikstückes auch ungleich größer, wenn man erst eine Platte auflegen muss, du den Startknopf bestätigst, die Platte sich zu drehen beginnt, zum Auftakt ein Knarzen erklingt und dann die Musik erschallt – und den ganzen Raum erfüllt.

Die Bedeutung eines Kleidungsstückes wird größer, wenn du dir die Bluse oder das Hemd über den Kopf ziehst, von der oder dem du weißt, dass schon deine Großmutter oder dein Großvater sie vor vielen Jahren trugen, und dessen Geschichtsträchtigkeit du spüren kannst, wenn du über den schweren, kühlen Stoff streichst.

Das Lesen wird intensiver, wenn du das Buch aufschlägst, die Seiten rascheln und die Buchstaben Vorfreude wecken und du dich in die Geschichte vertiefst und immer tiefer eintauchst und du schließlich in die Untiefen und Vielschichtigkeit der Handlung vordringst.