Auch Justus (S2) war mit dem PGW-Kurs von Frau Niemeyer auf der Exkursion zu einer Obdachlosenunterkunft. Er hat einen eigenen Blick auf das Thema Obdachlosigkeit.

Ein Gastbeitrag von Justus (S2)

Obwohl sie von den meisten Vorbeigehenden erfahrungsgemäß ignoriert werden, prägen Obdachlose die Stadtbilder deutscher Großstädte wie Berlin, Frankfurt und Hamburg. Wir alle kennen kaum Bahnhöfe und belebte Straßen ohne sie. Doch setzen wir uns,  vielleicht gerade weil wir Obdachlosigkeit schon unser Leben lang wahrnehmen, nicht wirklich mit dieser Lebensrealität auseinander.

In Deutschland hatten laut dem ersten Wohnungslosenbericht der Bundesregierung – dem ersten überhaupt – 263.000 Menschen Anfang 2022 kein festes Obdach. Diese werden in drei Gruppen unterschieden: 178.000 Menschen nehmen Wohnungsnotfallhilfe in Anspruch; 49.000 Menschen sind verdeckt wohnungslos, sie wohnen bei Freunden oder Verwandten, und tatsächlich auf der Straße oder in Behelfsunterkünften leben 37.000 Menschen. Hamburg ist mit knapp 19.000 wohnungslosen Menschen und einer sich daraus ergebenden Wohnungslosenquote von eins zu knapp 100 die am stärksten von Obdachlosigkeit betroffene deutsche Stadt. Die Hälfte der Betroffenen ist unter 25 Jahren. Ursache ist zum einen der Wohnungsmarkt, der durch steigende Mieten und mangelnde Sozialwohnungen die Verfügbarkeit an bezahlbarem Wohnraum stark schrumpfen lässt – aufgrund von Mietpreiserhöhungen, folgen Zwangsräumungen, die zu einem Verlust des Obdachs führen. In Hamburg lag die Anzahl an Zwangsräumungen 2022 bei über 900. Zum anderen lässt der Drogenkonsum die Zahl der Suchtkranken in Hamburg in die Höhe schießen; Häufig zu Obdachlosigkeit führen Alkohol, Heroin, Kokain und Crystal Meth. Nach einer europaweiten Abwasseruntersuchung März 2022 hat der Konsum Kokains und Crystal Meths in Hamburg im Vergleich zur vorherigen Untersuchung 2017 stark zugenommen. Dazu kommt der weitverbreitete Alkoholkonsum in Deutschland. Ein weiterer Aspekt, der eine wichtige Rolle für Obdachlosigkeit in Hamburg spielt, ist die hohe Arbeitslosenquote von 7,3 Prozent – Die Arbeitslosenquote in ganz Deutschland beträgt vergleichsweise „nur“ 5,7 Prozent. Auch kann Obdachlosigkeit durch unterschiedliche Formen von Missbrauch verursacht werden. Dies ist der Fall, wenn Missbrauchsopfer ihrer Situation und damit ihrem Haushalt entfliehen. Trotz der hohen Obdachlosigkeit findet sich in der Stadt viel obdachlosenfeindliche Architektur. Armlehnen in der Mitte von Bänken, laute Musik in U-Bahnhöfen oder blaues Licht unter S-Bahnbrücken – Maßnahmen, um auf der Straße lebenden Personen den Aufenthalt und das Übernachten an öffentlichen Orten zu erschweren, sind gezielte unmittelbare Diskriminierung Obdachloser.

Zeitgleich werden in Hamburg auch viele Hilfsangebote bereitgestellt – leider zu selten von der Seite der Stadt; In Hamburg befinden sich vier Drogenkonsumräume, in denen unter Aufsicht harte Drogen konsumiert werden können. Dieses Angebot sorgt, indem steriles Drogenbesteck zur Verfügung gestellt wird, für einen hygienischen Konsum und somit ein geringeres Risiko an einer durch Körperflüssigkeiten übertragbaren Krankheit, wie Hepatitis, zu erkranken. Außerdem ist im Falle einer Überdosis schnell medizinisches Fachpersonal vor Ort. Die Drogenkonsumräume befinden sich an Konsum „Hot Spots“, in St. Georg, Altona, Harburg und in der Nähe des Hauptbahnhofs.

Der „Kältebus“ kann in Hamburg gerufen werden, um Hilfsbedürftige in eine Einrichtung des Winterprogramms zu bringen. Er ist von November bis April jede Nacht von 19 bis 24 Uhr im Einsatz und kann unter der folgenden Nummer erreicht werden: 0151/65 68 33 68. Der Hamburger „Duschbus“ ist ein ausrangierter Linienbus, der an drei unterschiedlichen Standorten Obdachlosen die Möglichkeit einer Duschkabine sowie Waschbecken bietet. Zudem gibt es in Hamburg mehrere Essensausgaben, an denen kostenloses warmes Essen an Bedürftige verteilt wird. Die „Bahnhofsmission“ unterstützt Wohnungslose, indem sie Gespräche anbietet und an spezialisierte Einrichtungen vermittelt.

Hilfseinrichtungen sorgen zwar für eine Unterstützung und bessere Lebensqualität Obdachloser, bekämpfen jedoch unzureichend die Ursachen. Da diese so vielschichtig sind, braucht es große politische Veränderungen, um ihnen Einhalt zu gebieten. Die Europäische Union hat sich das Ziel gesetzt, Obdachlosigkeit bis 2030 zu beenden – ob dies jedoch umgesetzt wird, ist fraglich.

 

Foto: Huntersmith7, „Brighton, Castle Square, homlessness – tents, 2019“; Link zum Bild via Wikimedia Commons; lizensiert unter CC BY-SA 4.0 (Credit the creator, Share adaptations under the same terms).